(19.02.2024) Sven Xhonneux lief wie von Sinnen in Richtung Fans. Seine Mitspieler verfolgten ihn und versuchten den Rückraumspieler einzufangen, bevor sie gemeinsam vor den Anhängern feierten. Xhonneux‘ Vorname wurde lautstark skandiert, nachdem die „Humba“ in der „Hölle West“ erschallte. Der Rückraumspieler des HC Weiden hatte sich mit dem letzten Wurf drei Sekunden vor dem Ende zum Derbyhelden gekrönt; der Handball-Nordrheinligist gewann gegen den BTB Aachen mit 30:29 (15:12) nach einer Schlussphase, die doch noch mal spannender wurde, als es Mitte der zweiten Halbzeit ausgesehen hatte.
„Das war sehr viel Werbung für den Handballkreis. Das Spiel hatte alles, was diese Sportart ausmacht. Ich kann mich auch nicht erinnern, wann die Halle das letzte Mal so voll war. Beide Fanlager haben ihre Teams enthusiastisch angefeuert, es war eine geile Stimmung“, sagte ein glücklicher, aber auch geschaffter Marc Schlingensief.
Groß feiern konnte und wollte Weidens Trainer nach dem Nervenkrimi nicht mehr und das „den Jüngeren“ überlassen, selbst nur noch „ein paar Bier“ trinken. Was vermutlich immer noch deutlich mehr sein dürfte als bei Normalsterblichen; die Ausdauer der Handballer auch in dieser Sportart ist allgemein bekannt.
Recht hatte der HC-Coach mit der Einschätzung des gesamten Abends. Wirklich schwer mit anzuschauen war eigentlich nur eine Szene vor dem Spiel, als Weidens Piet Gerke beim Warmmachen einen verunglückten Pass dahin bekam, wo es Männern besonders wehtut. Das hinderte ihn aber nicht daran, den ersten Treffer zu erzielen (2.). Weidens Abwehr ließ zu Beginn wenig zu und „verteidigte gut“, wie Gästetrainer Simon Breuer-Herzog anerkannte.
Tim Boesel verdeutlichte mit seinem Block in der 4. Minute, dass der BTB zu Beginn für jedes Tor hart arbeiten musste. Das gelang den „Bandits“ erst in der sechsten Minute; die Anfangsphase gehörte dem Gastgeber, der in Unterzahl auf 6:2 erhöhen konnte (11.). Unterzahl wurde zu Beginn zu einem vertrauten Bild auf Weidener Seite, die Schiedsrichter pfiffen in manchen Situationen – auf beiden Seiten – sehr kleinlich. Nach 14 Minuten hatte der HC so viele Zeitstrafen wie der BTB Tore: vier.
Die Gäste holten anschließend bei beiden Themen aber auf und kamen offensiv besser ins Spiel; defensiv versuchten sie erfolgreich, mit einer 5:1-Abwehr auf der Halbposition Weidens auffälliges Rückraum-Ass Xhonneux einzubremsen.
Da der HC auch den ein oder anderen freien Wurf vergab, kamen die „Bandits“ nach einem 8:13-Rückstand kurz vor der Pause auf 12:14 heran, kassierten im Gegenzug aber einen weiteren Treffer zum Halbzeitstand. „Die ersten 30 Minuten waren wie aus einem Guss von uns“, lobte Schlingensief.
Auch Durchgang zwei startete mit einem 6:2-Lauf der Gastgeber; Breuer-Herzog war bereits in der 36. Minute gezwungen, eine Auszeit zu nehmen. „Da waren wir nicht ganz da“, meinte der „Bandits“-Coach auch mit Blick auf den einen oder anderen technischen Fehler im Angriff. Die Weidener zogen auf 23:15 davon (40.), es sah nach einer klaren Angelegenheit aus.
„40 Minuten hat unsere Abwehr gut funktioniert. Über die letzten 20 Minuten werden wir in der Trainingswoche noch mal sprechen müssen, auch offensiv war irgendwie der Wurm drin, da haben wir zu hektische Entscheidungen im Angriff getroffen“, sagte Schlingensief.
Dazu kamen die an diesem Abend üblichen Zeitstrafen – insgesamt gab es 21. Ein Drei-Tore-Lauf brachte den BTB auf 18:23 heran. Die Weidener erhöhten zwar noch mal auf 26:19 nach zwei Fehlpässen der „Bandits“ (44.). Angeführt von Simon Bock lieferten die Gäste dem HC aber einen „tollen Fight“, wie ihr Trainer es richtigerweise nannte, steckten nicht auf. Und wären vermutlich schon früher wieder dran gewesen, wenn Weidens Torwart Robin Schroif beim Stand von 29:25 nicht zwei Mal in doppelter Unterzahl die Würfe entschärft hätte (52. und 53.).
Der BTB kam trotzdem nach Bocks Treffer in der 56. Minute auf 28:29 heran und läutete damit die wilde Schlussphase ein: Nach einer Zwei-Minuten-Strafe für „Bandits“-Spieler Noah Wudtke setzte Weidens Kai Frauenrath den Siebenmeter an die Latte (57.). Die Gäste vergaben zwei Möglichkeiten zum Ausgleich, der HC verlor nach einem technischen Fehler in der Offensive den Ball, und Milan Monteiro Pai besorgte artistisch mit einem Wurf hinter dem Rücken das 29:29 gut 30 Sekunden vor Schluss.
Die musste der BTB nach einer Auszeit in Unterzahl spielen aufgrund eines unglücklichen Wechselfehlers. „Wir dachten, wir hätten einen Spieler zu wenig auf dem Feld gehabt“, erklärte Breuer-Herzog. Es sollte nicht die einzige unglückliche Situation bleiben: „Bandits“-Torwart Peer Dosch hielt zunächst gegen Adrian Bergerhausen – doch der Abpraller landete bei Xhonneux, der zwischenzeitlich wegen eines Krampfs raus musste.
„Zum Glück konnte er den Krampf rechtzeitig rauslaufen. Bei der letzten Aktion haben wir ganz einfach Glück gehabt“, freute sich sein Trainer, der sah, wie die Nummer vier dann ansatzlos den letzten Wurf des intensiven Spiels rechts unten versenkte. „Er ist ein absoluter Entscheidungsspieler, Simon hat ihn nicht zu Unrecht gelobt“, sagte Schlingensief mit Bier in der Hand.
„Einfach ärgerlich, dass wir nach diesem Riesen-Comeback noch verloren haben“, meinte sein Gegenüber Breuer-Herzog, der damit als Coach weiter auf einen Derbysieg in der Liga gegen Weiden warten muss, den es letztmals in einer Zeit vor Corona, am 2. November 2019, gegeben hatte.
Weidens Torschützen: Scheidtweiler (8), Xhonneux (6/1), J. Frauenrath, K. Frauenrath, Gerke (je 3), Eich, Eissa (je 2), Wolff, Kemper, Bergerhausen (je 1)
BTB-Torschützen: Bock (8/5), Wudtke (5), Monteiro Pai, Schnalle (je 4), Mattner, Boekmann (je 3), Kaesgen, Wagner (je 1)
(Text: AZ)